Helvetica

Photo by SRG

Die grosse Vorfreude auf die erste Schweizer Thriller-Serie «Helvetica» wich schon nach wenigen Minuten der ersten Folge. Alles wirkte merkwürdig, steril, unnatürlich. Aber es dauerte eine Weile, bis ich begriff, weshalb.

Stümperhafte Synchronisation

«Helvetica» ist ein Projekt des Westschweizer Fernsehens, realisiert durch die Genfer Produktionsfirma «Rita Productions» sowie der belgischen «Versus Production». Der Haupt-Cast stammt vorwiegend aus der Westschweiz, Frankreich oder Belgien. Rein sprachlich also eine französische Produktion. Das Schweizer Fernsehen strahlte die Serie Ende August in der synchronisierten deutschen Mundart-Fassung aus.

Und das ist ein Problem. Denn die Synchronisation ist dermassen miserabel, dass es quietscht. Nicht nur dass man die Lippensynchronität scheinbar dem Zufall überliess, so wurden auch Stimmen ausgewählt, die so überhaupt nicht zu den Figuren passen. Der dunkelhäutige Assistent Malik (Cédric Djedje) des bissigen Ermittlers Rainald Mann (Roland Vouilloz) kommt in breitestem Berndeutsch daher und mit einer Stimme, die eher zu einem bünzligen Steuerbeamten passen würde. Bei Malik zum Beispiel hätte der französische Akzent besser funktioniert als bei seinem Chef.

Aber es sind nicht nur die falsch besetzten Stimmen, die stören. Es ist auch die totale Emotionslosigkeit, mit der die Sprecher ihre Texte runterleiern. Gefühlsmässig hat man sich in der Sprecherkabine komplett von den Figuren im Film abgekoppelt. Stellenweise kommt es rüber wie bei diesen schludrig eingedeutschten Teleshopping-Sendungen oder man meint, es handle sich bloss um einen Off-Kommentar in der direkten Rede.

Synchronisation ist ein Handwerk. Es genügt nicht, die einzelnen Textschnipsel einfach nur ins Mikrofon zu plappern. Die Synchronsprecher müssen sich mit ihrer Figur und der Situation, in der sie sich befinden, auseinandersetzen. Synchronisieren ist schauspielern ohne Publikum. Und es braucht Übung. Wenn man nur alle paar Jahre mal als Synchronsprecher arbeitet, genügt das nicht.

Natürlich darf man nicht nur auf den Sprechern herumhacken. Es gibt schliesslich auch noch eine Dialogregie. Die verantwortliche Person hat bei «Helvetica» jedoch ihren Job nicht gemacht – oder war dafür nicht qualifiziert. Ansonsten wäre ihr längstens aufgefallen, was die Zuschauer auch ohne Fachkenntnisse bemerkt haben.

Aber blosse Kritik an der Dialogregie greift auch zu kurz. Die Synchro kann nur so gut sein, wie die übersetzten Texte, die verwendet werden. Hierfür gibt es die Dialog-Autoren. Eine blosse 1:1-Übersetzung aus der Originalfassung genügt auch hier nicht. Die Roh-Übersetzung muss wiederum auf die Lippensynchronität abgestimmt sein und gleichzeitig viele Feinheiten aus dem Original berücksichtigen. Einen Film zu übersetzen ist richtig Arbeit. Damit wären wir wieder beim Handwerk. Dazu gibt es übrigens ein lesenswertes Interview mit Christoph Cierpka, einem erfahrenen Dialog-Autor und Synchron-Regisseur.

Und dann ist da noch die Krux mit der Mundart überhaupt. Schweizer Mundart ist anders als die deutsche Standardsprache. Ein französischer Text erst in deutsche Standardsprache und von dort dann in Schweizer Mundart zu übersetzen, bedeutet ebenfalls viel Arbeit. Wird dabei nicht auf die Eigenheiten der Schweizer Mundart Rücksicht genommen, so wirken die aus der Übersetzung resultierenden Dialoge hölzern und aufgesetzt. Genau so, wie wir es nun in der synchronisierten Fassung von «Helvetica» zu hören bekommen. Die Schauspieler sagen dabei Dinge, die ein Schweizer nie so sagen würde. Zur Verteidigung der «Helvetica»-Macher sei hier noch erwähnt, dass praktisch alle Schweizer Filme mit diesem Problem zu kämpfen haben. Mundart-Dialoge sind eine Herausforderung.

Die Produzenten von «Helvetica» haben all das nicht getan. Denn die Synchronisation ist nicht nur handwerklich schlecht, sondern die Dialoge wirken oft dermassen gschtabig und unnatürlich, dass es schmerzt.

Jetzt kann man natürlich die Auffassung vertreten, dass man Filme oder Serien überhaupt nicht synchronisieren müsse, sondern im Original und allenfalls mit deutschen Untertiteln zu senden habe. Dabei gilt aber zu Bedenken, dass es viele Menschen gibt, deren Französisch- oder Englisch-Kenntnisse nicht ausreichen, um einer Filmhandlung zu folgen. Und ganz ehrlich: Einen Film zu lesen macht einfach keinen Spass.

Ewiges Thema Wackelkamera

Gut, hätte man sich auf die Untertitel konzentrieren müssen, wären einem vielleicht die vielen Wackelbilder nicht aufgefallen. Leider wurde auch hier viel zu oft mit der verwackelten Handkamera gearbeitet. Und zwar völlig ohne Not und irgendwie auch willkürlich. Ein Beispiel: Als Tina (Flonja Kodheli) ihren Vater (Çun Lajçi) verprügelt in der Badewanne findet, wurde sie schön stabil fotografiert. Die Overshoulder-Aufnahme ihres Vaters jedoch wackelte wie das Handyfilmchen eines Betrunkenen. Warum?

Oder wenn die Kamera Tina auf einem Waldweg folgt und immer näher an ein Schild zuläuft. So verwackelt, dass man die Worte auf dem Schild nicht lesen kann. Und als die Kamera dann endlich nahe genug am Schild wäre, um trotz Wackelei etwas lesen zu können, wird abrupt weggeschwenkt. Warum?

Es ist natürlich möglich, dass ich bei diesem Thema zu übertrieben reagiere. Denn ich verspüre eine wirklich ganz tiefe Abneigung gegen die «Wackelkamera». Weil ich mich zu diesem Thema schon anderweitig ausgelassen habe, möchte ich hier gar nicht näher darauf eingehen.

Musste es wirklich eine Serie sein?

Kommen wir zurück den Autoren. Sie haben die Geschichte ausgeknobelt und tragen damit eigentlich die Hauptverantwortung. Sie machen aus der Putze Tina von einem Tag auf den anderen eine versierte Undercover-Agentin, die ihre Aufgabe so souverän und einfallsreich ausführt, dass es völlig unglaubwürdig wirkt. Sie erkennt sofort die Situation, kann die Risiken abschätzen und entsprechend professionell darauf reagieren. Auch der direkte Nahkampf bereitet ihr keine grösseren Probleme. Selbst dann nicht, wenn entweder auf sie geschossen wird oder sie gar einen Mann töten muss.

Das ging einfach zu schnell. Es ist keine Lernkurve erkennbar und man fragt sich als Zuschauer, ob Tina nicht vielleicht eine Schläferin der Albaner-Mafia ist. Obwohl man die ganze Story in eine über 5 Stunden dauernde Minie-Serie aufgebläht hat, kann man in der Figur von Tina keinerlei Entwicklung erkennen.

Das ist schade. Denn gerade die von Autoren oft gewünschte und doch selten erreichte tiefgründigere Auseinandersetzung mit den einzelnen Charakteren ist doch eines der Hauptargumente, die für eine Serie sprechen würden. Das geschah weder mit Tina, noch mit der Bundespräsidentin oder dem Bundesbeamten oder sonst irgendwem. «Helvetica» ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Serien-Konzept nicht immer die richtige Methode ist und dass es längst nicht jedem Autoren gelingt, den Stoff vernünftig in mehrere Folgen aufzuteilen. Den eigentlich durchaus interessanten und potentiell sehr spannenden Stoff von «Helvetica» hätte man definitiv besser in einem Spielfilm von 120 oder ein paar mehr Minuten erzählt.

Fazit

Abschliessend muss man sagen, dass «Helvetica» auf der ganzen Linie enttäuscht hat. Positiv erwähnen kann man nur die Geschichte selbst. Richtig erzählt und noch besser umgesetzt hätte es ein ungemein spannender Thriller werden können.

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